Rafael Peréz - en
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Lelia Driben - en
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Agnes Kohlmeyer - de
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Flammend rot, tiefblau und unauslöschbar asphaltschwarz,
voll Leidenschaft und Präzision oder “auf der Suche nach dem inneren Bild"


“Die Palmenblätter schnellen wie Viperzungen
In die Kelche der roten Gladiolen,
Und die Mondsichel lacht
Wie ein Faunsaug’ verstohlen.

Die Welt hält das Leben umschlungen
Im Strahl des Saturn
Und durch das Träumen der Nacht
Sprüht es purpurn. …”
(aus: Syrinxliedchen von Else Lasker-Schüler)

Da ist die Liebe zur vollen, farbigen und zugleich auch höchst dramatischen Poesie einer ganz großen Dichterin -“ihre Texte und Gedichte sind für mich wie deutsche Haikus”, da ist eine selbstverständliche Vertrautheit mit der Literatur, der Musik, dem Film, dem Tanz im Allgemeinen, und da sind zahlreiche für den eigenen Werdegang als ziemlich wichtig erachtete Begegnungen mit Schriftstellern, Malern, Musikern, Filmemachern und Choreographen, mit welchen es teilweise auch Zusammenarbeit gegeben hat und weiterhin gibt. Das spricht von einem stetigen gegenseitigen Befruchten, auch durchaus von gemeinsamer Weiterentwicklung von Ideen, von einem Sich-Mischen der Künste, welches wohl auch von Anfang an als gegeben empfunden wurde aufgrund der relativ beengten Situation in der damaligen DDR, in welcher Wolfgang Scholz noch aufgewachsen ist und die ersten Jahre seines Künstlerdaseins verbracht hat. Es waren eben nicht allzuviele, die damaligen selbstbewußten und auch in der übrigen Welt zum Teil bekannteren Kulturschaffenden, aber sie sprachen die gleiche Sprache, sie zogen zweifellos am gleichen Strang - dies hat offensichtlich auch zu einem stärkeren Gefühl von Zusammenhalt und Solidarität führen können.

Ein Künstler mit so sehr breit gestreuten eigenen künstlerischen Ambitionen, jemand, der sich selber bei seiner ganzen zielstrebigen Suche sowohl in der Malerei und Zeichnung wie in der Skulptur, der Fotografie, dem Film, der Regie und der Choreographie zuhause fühlt wie Wolfgang Scholz, ist trotz alledem eine echte Seltenheit zu nennen. Auch wenn heute die Künste und die Künstler einander wieder mehr denn je suchen, auch wenn beinahe jeder Künstler, der malt, seine Vorbereitungen oder Vorhaben zumeist ebenso in der Zeichnung versuchen wird oder auch bisweilen in Skulptur – die dreidimensionale Variante - zu verwandeln bemüht ist, auch wenn filmende Künstler häufig ebenfalls fotografieren oder umgekehrt -, in dieser intensiven, beinahe exzessiv verfolgten Art und Weise wie bei dem gebürtigen Dresdner Wolfgang Scholz kommt das Arbeiten mit den verschiedensten Ausdrucksmitteln der Kunst wohl eher nur im Ausnahmefall vor.
Und doch, ist das Leben nicht auch selber so, daß es uns diese ganze Vielfalt bietet, und daß wir Theater, Musik, Literatur und Bildende Kunst in der gleichen Weise lieben und genießen können? Warum sollte da eigentlich ein bildender Künstler allein sich beschränken wollen, wenn er doch den Zugang und die Begabung hat und die Lust dazu verspürt, sowohl im einen wie auch im anderen oder gar in mehreren anderen Kunstbereiche ebenfalls zu schaffen?

In diesen Tagen ist mir ein Bändchen mit Gedichten Paul Klees in die Hände gefallen. Paul Klee war, wie man weiß, ein Musiker, bevor er zur Malerei übergegangen ist, er hat aber auch vor der Sprache keineswegs Halt gemacht, wenn es aus ihm “herauswollte”. Die meisten dieser kleinen Gedichte wollen mir tatsächlich wie eine ganz harmonische Einheit, “jedesmal verbunden mit den mehr unterbewußten Bilddimensionen” (P. K. in Schriften zur Form), ein beinahe nahtloses Ineinanderfließen von Gedankenfragmenten, von schönen, genialen “Farbspritzern” bis hin zu skurrilsten Einfällen erscheinen, genauso wie es so viele der wunderschönen und fantasieüberlaufenen Blätter des Malers und Zeichners Paul Klee zu tun in der Lage sind. Ja, es gibt auch da ohne Frage eine starke Verbindung, ein Miteinander der Ausdrucksformen. “Im Grunde Dichter zu sein, diese Erkenntnis sollte in der Bildenden Kunst doch nicht hinderlich sein! Und wenn ich wirklich Dichter sein müßte, würde ich Gott weiß was anderes wollen” läßt sich in Klees Tagebüchern nachlesen und zeigt doch deutlich, wie sehr verschiedene künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten bei ein und der selben Person miteinander verbunden sein können.

Sicherlich, es gehört wohl eine gehörige Portion Selbstdisziplin dazu, diese in ihren Zeiten der Bearbeitung und in all ihren technischen Belangen so unterschiedlichen Bereiche der Kunst notwendigerweise auch streng voneinander getrennt zu bearbeiten, so sehr sie sich inhaltlich ergänzen, miteinander vereinen und bestärken mögen.
Und natürlich ist keineswegs jeder Mensch und auch nicht jeder Künstler zu solcher Art strenger Selbstdisziplin überhaupt in der Lage. “Von morgens früh bis zum Nachmittag arbeite ich am Entwickeln von Multimedia, nachmittags bis nachts widme ich mich der Malerei und den Objekten. Dreharbeiten, Postproduktion und Proben finden in konzentrierten Zeiträumen statt” erklärt der Künstler dazu, und es versteht sich von selbst, daß eine solche relativ präzise Zeiteinteilung unbedingt vonnöten ist.
Auf der anderen Seite wird es wohl so sein, daß das Neben- und Miteinander von unterschiedlichen Arbeitsbereichen auch einen steten Wechsel mit sich bringt. Ausgehend bereits von einem sich beständig ändernden Rhythmus der Idee, des Anfangsstadiums, des langsamen Sich-Steigerns der Kräfte und der Vertiefung in eine Arbeit hinein, zum sicherlich befriedigenden Erlebnis eines Höhepunktes und vielleicht auch Glücksgefühls, wenn die jeweilige Arbeit dann erst beendet ist, bis – in unserem speziellen Falle – wieder hin zu einer erneuten Aufgabe in einem ganz anderen Bereich: Da wird sicher weder die eine noch die andere noch die dritte Bearbeitung gar jemals monoton werden können. Ins Stocken geraten vielleicht zuweilen, aber auch dann kann es helfen, eine gewisse Zeit bei einer der anderen Arbeiten zu verbringen, um einfach ein wenig Abstand zu gewinnen und sich erst dann, wenn bestimmte Gedanken oder Schritte sich weiterentwickelt haben, wenn sie sozusagen “gereift” sind, wiederum der unterbrochenen Arbeit zuzuwenden.
Ich vermute hinter dieser zweifellos nicht alltäglichen Vorgehensweise als weitergehenden Sinn den starken Wunsch des Künstlers, daß all diese vielleicht einer einzigen großen Suche entsprungenen Dinge sich auf unterschiedliche Art und Weise ihren Weg zum Ausdruck suchen mögen und in ganz verschiedenen Bildern und mit unterschiedlichster Wirkung bei den Betrachtern angelangen.

Passieren wir doch einmal schnell die unterschiedlichen Werkgruppen.
Da sind zunächst die noch in Dresden entstandenen Fotoserien “Köpfe” und “Figuren”, die sogenannten “Links- und Rechtsgesichter” sowie die “Schwimmerfiguren”, alle rigoros in Schwarz-weiß gehalten, in welchen der Künstler versucht hat, “Dinge zu klären”, für sich selber wie für andere. Gleichzeitig dazu entstehen aber auch schon Bilderserien zu den gleichen Thematiken sowie kurz darauf die ersten Versuche mit dem Film. Der kurze Spielfilm “Traum1” entsteht in Gemeinschaftsarbeit, für die weitere Arbeit am Film (noch in den 80er Jahren ein weiterer Spielfilm sowie einige Dokumentarfilme) geht der Künstler aber in erster Linie autodidaktisch vor. Bei sämtlichem verwendeten Material handelt es sich um selbstgedrehte, auch kunstvoll und in mühsamer Kleinarbeit angefertigte Details (ein sich drehendes Herz, zerbröselnde Blüten usw.), Elemente, welche wie ein roter Faden in den verschiedenen Produktionen immer mal wieder auftauchen können und welche sich dann mit mehr oder weniger bekannten Ausschnitten aus der Stummfilmzeit verbinden, oder mit den ausgeliehenen Amateuraufnahmen von Naturkatastrophen, von Exkursionen, von großen Entdeckungen oder von komischen Begebenheiten. Auch hier gewahrt man eigentlich bereits eine folgerichtige Suche nach dem “inneren Zusammenhang”, mit Hilfe von dramatischen und wunderschönen, beunruhigenden, neugierig machenden, aber manchmal ob ihrer Brutalität und gleichzeitigen “Echtheit” auch nur schwer zu ertragenden, uns aber trotz alledem durchweg fesselnden Bildern.
Bilder eben, welche die ganze unendliche Fülle des Lebens miteinbeziehen.
Zitate aus der Literatur oder aus der Filmgeschichte, aus dem Alltag und dem ganz persönlichen Erlebnisbereich, aus der Menschen Fantasie, ihren Ängsten oder Träumen können zu tragenden Themen solcher “Erzählungen” werden,
Bilder in Bewegung sind es selbstverständlich allemal.
Ab 1987 etwa ist der Beginn der Arbeit - in Zeichnung und auch Objekten-  mit  Seidenpapier zu notieren, jenem so sehr “lebendigen”, da geräuschvoll, zart und rauh zugleich und unmittelbar “reagierenden” Material. Einher mit diesen Bearbeitungen gehen stets auch die Malerei und die Arbeit am Film, aber es gibt ebenfalls bereits erste Performances, Aktionen und regelmäßig Ausstellungen von sämtlichen Werkbereichen, oftmals auch bereits in ihrer vollen Mischung.
Ab 1994 dann macht sich Scholz auch zusätzlich an die Arbeit an Drehbüchern und Fernsehfilmen – zu einem Teil sind es unterhaltsgarantierende Auftragsarbeiten, aber auch Experimentalfilme, Festivalsbeteiligungen und ähnliches -, und vor allem aber wagt er sich nun an die wirklichen multimedialen Inszenierungen, welche die Bemühungen dieses Künstlers, Einzelmosaiksteine zu einem einzigen stimmigen Ganzen zusammenzuführen, letztendlich am intensivsten und gelungensten nachvollziehen lassen.

Soviel steht sicherlich fest, in gewisser Weise sind wohl all diese einzelnen Arbeiten - die Fotografien, die gemalten Bilder, die Zeichnungen auf Papier, die Objekte, die Filme und die Drehbücher sowie die multimedialen Inszenierungen, welche als Einzelwerke alle ihre absolute Autonomie behalten - dann doch auch wieder als miteinander verbundene Elemente eines großen prozeßhaft angelegten Entstehungsvorganges zu betrachten. Eine jede dieser Einzelarbeiten wirkt tatsächlich wie ein Teil eines großen Ganzen, eines Gesamtkunstwerkes sozusagen, das sich auch immer selber eine Offenheit und Möglichkeit zur Weiterentwicklung vorbehält, stets “auf der Suche nach dem inneren Bild”, welche für den Künstler Wolfgang Scholz ein so wichtiges Anliegen geworden ist. Und nicht von ungefähr betont der Künstler wieder und wieder, daß es ihm nicht etwa auf die sich festlegende Interpretation ankommt, sondern daß, selbst bei der Bearbeitung seiner Gemälde der “Zufälligkeit des Zusammentreffens” stets ein großer Raum vorbehalten bleiben muß, um der Möglichkeit zu Neuem einen Weg zu ebnen.

Und wenn wir dann diese Blätter noch einmal genauer anschauen, in ihrer zarten aber auf das Äußerste reduzierten Zeichenhaftigkeit, festgehalten auf so “Lebendigem” wie Seiden- oder Nepalpapier oder auch auf Pergament –der Künstler greift gerne auf ein ganzes sorgsam angesammeltes Materialienlager von  bereits gebrauchtem Papier, also Material mit einer “eigenen Geschichte” zurück - in Tinte, Tusche, Beize, Blei und Blut entstanden, welch letzteres hier nicht allein für das unweigerlich beunruhigende, da zum Leben so notwendige Körpersekret stehen soll, sondern ganz materialistisch auch in seiner Eigenschaft als stark trocknende und den zarten Maluntergrund extrem zusammenziehen könnende Flüssigkeit -,
und wenn wir dann die groß und größer werdenden Gemälde anschauen, in kräftigen sinnlichen Farben zumeist – Rot, in allen Schattierungen, leuchtendes Gelb oder auch tiefes Blau, “Helio-, Coelin- oder Preussischblau“ -, verbunden meist mit einem eher stumpfen, da “endgültigen” Schwarz, welches von Asphalt oder Bitumen herrührt, all diese Bilder zudem stets sehr “fließend” gehalten, das heißt mit viel herunterlaufender und ihre faszinierenden Spuren hinterlassender Flüssigkeit behandelt, mit Terpentin, um das allzu festgewordene Asphalt möglichst wieder etwas aufzuweichen, um vielleicht doch noch etwas “abtragen” zu können, was sich bereits zuviel Raum erobert hatte, oder mit viel Wasser – , dann erkennen wir auf allen Bildern oder Blättern immer wieder ein zentrales Thema:die Figur.
Eine einzelne, zwei oder auch drei Figuren - sehr selten nur sind es mehr als das. Aber diese Figuren sind nicht eigentlich “figürlich” im Sinne einer Intention des Malers, sondern es sind Formen, welche sich aus der Bearbeitung der Materie heraus ergeben haben. Formen, Strukturen eher, ohne Umrisse, welche allein durch das materielle Auftragen von Farb- oder Papier- oder noch anderen Schichten, beispielsweise auch Sand oder Kreideschlämme entstanden sind bzw. durch das wieder Wegnehmen von ebensolchen Schichten, Materialien oder Farben. Diese Technik und ihre Ergebnisse lassen durchaus auch Assoziationen zu etwas so extrem Körperlichen wie Haut zu. “Häutungen”, diesen Begriff hat der Künstler selber hin und wieder verwandt, auch für eine seiner frühen Videofilmarbeiten beispielsweise, – und damit verleiht man diesen Arbeiten unwillkürlich etwas sehr Lebendiges, beinahe Menschliches. Bilder mit vielen Schichtungen, bei denen es auf das Darunterliegende, das Darinbefindliche ankommt, auf die Tiefe eben. Bilder oder besser Werke, welche dadurch auch räumlich werden, dreidimensional Und, es handelt sich immer auch um Formen, welche zu Bewegung werden, Formen, welche uns auf den Bildern, den Zeichnungen, in den Drahtskulpturen, ja gar in den kleinen Kisten, jener “tragbaren Kunst” bereits wie Figuren in Bewegung erscheinen mögen.
Aber ganz besonders, nachdem wir uns mehr und mehr in das gesamte Werk dieses Künstlers vertiefen konnten, und beispielsweise auch seine starke Affinität, sein Interesse und sein eigenes professionelles Verwickeltsein in die Welt des Tanzes und der Choreographie hinein verstanden haben, wird uns diese Verbindung mehr als deutlich. Die meisten dieser Bilder und dieser Zeichnungen wirken in gewisser Weise wie gemalter Tanz.
Und der Tanz von einzelnen Figuren, auch der vom Künstler selber ganz konkret inszenierte Tanz auf der Bühne scheint wiederum Verbildlichung von Körpern in Bewegung, von “Bewegung in Relation zur Zeit im Raum” zu sein.
Körper im Zusammenspiel mit Klang, mit Licht und mit Material – mit den überdimensionalen spiegelbildlichen Fotografien von Körperteilen, welche zur Verdoppelung einladen, mit der Wand aus Papier, welche wie ein zu überwindendes Hindernis empfunden wird, mit der langen Bahn aus noch einmal  zartem knisternden Seidenpapier, in welches die Tänzerin sich schutzsuchend allmählich einwickelt, aber aus welchem sie sich auch verzweifelt wieder zu befreien bemüht (gegen Ende des Stückes “Landscapes of Love” von 2001), und  sie das Papier letztendlich sogar zerreißen muß, weil sie es als Einengung empfindet. 
Körper im Ruhezustand, dann in immer schnellere, “fließendere” Bewegung übergehend, Körper, wieder langsamer werdend, zögernd, suchend, in diesem Stück zumindest auf die Begegnung wartend mit dem “Anderen”.

Und Körper, stets auch auf das “zufällige Zusammentreffen unterschiedlicher Wahrnehmungen” ausgerichtet, woraus tatsächlich das ganze Leben zu bestehen scheint.

Venice, November 2004

Agnes Kohlmeyer, is an art critic and curator Born in Germany in 1954, Agnes Kohlmeyer studied Slavic studies and history at the Freie Universität in Berlin. From 1992-1993 she conducted research, at the Getty Center for the History of Art in Santa Monica - California, on German participation in the Venice Biennale International Art Exhibition (1895-1968). From 1998-99 she worked with Harald Szeemann as assistant curator for the 48th edition of the Venice Biennale of Art. She has curated installations for places such as the Castello of Udine. From 2001-03 she managed the Kunstverein of Ludwigsburg (Germany), acting as curator the exhibitions. She teaches “Trends in contemporary art” at the Faculty of Arts and Design University IUAV of Venice. She lives and works in Venice, Italy.